Altbulach

Mauritiuskirche

Die Mauritiuskirche in Altbulach ist ein Kleinod. Freundlich und würdig grüßt sie vom hohen Kirchhof herab, der durch eine eindrucksvolle Mauer gestützt und umfriedet wird. Ihr gedrungener Turm, ihr hoher gotischer Chor und das niedrige romanische Schiff fügen sich zu einem schönen Bauwerk zusammen, obwohl die einzelnen Teile in verschiedenen Epochen errichtet worden sind. So steht sie seit vielen Jahrhunderten in der Mitte des Dorfes als Zeichen der Gegenwart Gottes und als Bild der Heimat.

Kommen wir dann von oben her in den von mächtigen Bäumen beschirmten Kirchhof hinein, empfängt uns eine Welt voll Friede und Geborgenheit. Wir ahnen Geheimnisse. Nicht nur, weil hier durch Jahrhunderte hindurch die Einwohner von Altbulach und lange auch die von Neubulach ihre letzte irdische Ruhestätte fanden. Die alte Kirche vor allem hat viel zu erzählen, auch wenn ihre Anfänge im Dunkel liegen. Man bleibt oft auf Vermutungen angewiesen, doch es ist spannend, auf Spurensuche zu gehen.

Die ursprüngliche Kirche

Die Gründung der Mauritiuskirche geht auf das 12. oder 11. Jahrhundert zurück. Ihr Namenspatron war ein römischer Offizier, der für sein Bekenntnis zu Christus das Leben lassen musste und als Märtyrer verehrt wurde.

Der untere massige Teil des Turms und das Kirchenschiff gehören zum ursprünglichen Bau. Ein schmuckloser Altartisch auf der rechten Innenseite und vor allem zwei schmale Fensteröffnungen weisen auf die Zeit des Anfangs hin. Ihre romanischen Rundbogen kann man außen an der Süd- und Nordwand gut erkennen.

In den ersten Jahrhunderten hatte die Kirche nur solche kleinen Fenster, vier oder sechs an der Zahl, durch die wenig Licht einfiel. Das ist bezeichnend für die romanische Zeit. Man wollte von der gewöhnlichen Welt mit ihren Versuchungen und Bedrohungen abgeschirmt sein. Das Auge musste sich ans Dunkel gewöhnen und man empfand mit der Zeit, dass es immer heller wurde. Kerzenlicht machte den Raum feierlich und warm. Es herrschte eine Atmosphäre, wie wir sie heute noch in der alten katholischen Aureliuskirche des Hirsauer Klosters diesseits der Nagold erleben können.

Der gotische Chor

Erst viele Generationen später, in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, wurde der hohe gotische Chor dem alten Kirchenschiff angefügt. Wir müssen staunen, was für ein kostbares Juwel damals in dem kleinen Ort entstand. Ohne Hilfe und Einfluss von außen ist das undenkbar. Man nimmt mit gutem Grund an, dass hinter diesem Bau das Kloster Hirsau stand, das wegen seiner großen Baukunst berühmt war. Dieses hatte Besitz in Altbulach, worauf heute noch die Straßenbezeichnung „Im Kloster“ hinweist.

Die hohen Spitzbogenfenster mit ihrem feinen Maßwerk und das reich verzierte Netzgewölbe ziehen Auge und Herz nach oben. So wollte man es in der Zeit der Gotik haben. Schlanke Steinrippen, die ähnlich wie in der Neubulacher Kirche auf Fratzengesichtern ruhen, tragen das hohe Gewölbe. Sie treffen oben von verschiedenen Seiten auf die Schlusssteine. Diese zeigen Maria mit dem Kind, das dorngekrönte Antlitz Christi und die Marterwerkzeuge der Passion, Dornenkrone und Kreuzesnägel.

Farbige Blütenranken geben dem Gewölbe etwas Heiteres. Dabei werden die Blumen der Schöpfung zugleich Symbole der Glaubenswelt: Lilien sind Zeichen der Reinheit und auch der Fürsorge Gottes. Die Dornen gehören nach dem Sündenfall zu unserem Menschenleben, das der Gottessohn in seinem Leiden für unsere Erlösung auf sich genommen hat. Nicht zufällig sehen wir auf zwei Schlusssteinen die Dornenkrone.

Ein feines Kunstwerk stellt das in die Nordwand eingefügte „Sakramentshäuschen“ dar, in welchem man vor der Reformationszeit die geweihten Hostien aufbewahrte.

Als Ort der Gegenwart Christi wurde es von einem begabten Bildhauer besonders schön gestaltet. Schlanke Türmchen flankieren eine Wandnische und halten einen reich verzierten Dachgiebel darüber. Zwei Engel tragen das Ganze und zeigen dem Betrachter das Antlitz Christi auf dem „Schweißtuch der Veronika“.

Farbige Weihekreuze an den Wänden sind als Gebetsstationen gedacht. Das gotische Tor zur Sakristei zeigt noch die Spuren der Jahrhunderte.

Die Altbulacher Beginengemeinschaft

Vielleicht hängt der Bau des wunderbaren Chors mit dem Beginenkonvent zusammen, einer klosterähnlichen Gemeinschaft von Frauen, die seit dem 14. Jahrhundert 200 Jahre lang bis zur Reformation in der Kirche ihre geistliche Heimat hatten. Sie kamen hier regelmäßig mehrere Male am Tag zu Gebet und Andacht zusammen.

Die Bewegung der Beginen war im 13. Jahrhundert entstanden und breitete sich im Abendland weit aus. Diese Frauen bemühten sich innerhalb der oft verweltlichten Kirche um ein verbindliches Christenleben. In manchen Orten der Umgebung, etwa in Wildberg, Effringen und Herrenberg, gab es solche Schwesternschaften. Sie waren in Regionen zusammengefasst und standen natürlich auch unter geistlicher Aufsicht in einem solchen Bereich.

Etwa zwölf ledige Frauen und Wittfrauen lebten hier in Altbulach nach bestimmten Regeln zusammen, waren aber nicht an so strenge Gelübde gebunden wie die Nonnen in den Klöstern, obwohl man sie im Volksmund oft auch „Nonnen“ nannte. Sie trugen ein graues Gewand und bewohnten ihr gemeinsames Haus, das „Klösterle“, auf der Nordseite der Kirche. Dieses war nach der Überlieferung durch einen überdachten Gang mit der Kirche verbunden. So konnten sie durch das „Nonnentörle“, welches jetzt Eingangstür zur Empore höher gesetzt ist, an ihre gemeinsamen Plätze in der Kirche kommen.

Die Beginen erwarben ihren Lebensunterhalt durch Handarbeit wie Weben und Nähen. Vor allem aber war ihnen die Pflege der Kranken ein Herzensanliegen. Insofern war ihre Gemeinschaft so etwas wie eine Vorläuferin unserer Diakoniestation. Die hiesigen Frauen, welche nicht alle aus Altbulach stammten, kamen zu einem gewissen Wohlstand. Sie brachten eigenes Vermögen mit in die Gemeinschaft ein und erhielten bestimmt auch Stiftungen. So konnten sie sogar manche Güter verpachten und einen großen eigenen Garten bewirtschaften. Die Bezeichnung „Nonnengärten“ nördlich der Kirchhofmauer weist darauf hin.

An der südlichen Außenwand der Kirche sehen wir neben anderen Steinen eine Grabplatte, auf dem der Name „Irmingardis“ mit ihrem Todesjahr 1393 eingehauen ist. Diese Platte lag bis 1850 im Inneren der Kirche vor dem Altar. An solch hervorgehobener Stelle wurden im Mittelalter nur Persönlichkeiten bestattet, die sich durch ein heiliggemäßes Leben ausgezeichnet oder große Verdienste für die Allgemeinheit erworben haben. Es wird angenommen, dass Irmingardis eine besonders wichtige Priorin, vielleicht sogar die Stifterin des Beginenhauses war.

Man kann sich vorstellen, dass auch die Szene auf dem mittelalterlichen Fresko an der Nordwand vor der Kanzel, das lange übertüncht war und vielleicht aus einem ganzen Zyklus stammt, auf das Beginenhaus hinweist. Das Bild zeigt eine Person in klösterlichem Gewand, die einem etwas höher stehenden geistlichen Würdenträger eine Gabe darbringt. Seine Insignien, Krummstab und Thyara und ein Buch in der Hand, weisen diesen als Bischof oder Abt eines Klosters aus. Ob es sich um den Abt des Klosters Hirsau handelt?

Veränderungen und Erneuerungen

Immer wieder wurde im Lauf seiner Geschichte der Innenraum der Kirche verändert. Nach der Reformation brach man größere Fensteröffnungen in die Nord- und Südwand, damit mehr Licht einströmen konnte und somit das helle Licht des Evangeliums von Jesus Christus unterstrichen wurde.

Wir können uns heute kaum vorstellen, dass im letzten Jahrhundert von der Zeit des gottlosen Dritten Reiches an bis in die sechziger Jahre hinein der Chorraum durch einen großen Vorhang vom Kirchenschiff abgetrennt war und als Kindergarten diente.

Eine vorbildliche und grundlegende Erneuerung brachte die Kirche vor etwa 40 Jahren in den jetzigen Zustand, der sicher dem ursprünglichen Bild sehr nahe kommt und zugleich für das heutige Gemeindeleben einladend wirkt. Die Decke des Kirchenschiffs wurde um etwa 1,5 Meter erhöht. Dabei musste der Dachstuhl abgetragen werden. Unter Verwendung der alten Teile wurde er höher wieder aufgebaut. Auch die Nordempore und eine Kanzel entfielen. Jetzt ist der Triumphbogen des Chors, der seither oben abgeschnitten war, bis zur Spitze sichtbar. Die Gemeinde kann nun viel besser den Chorraum mit seinem gotischen Netzgewölbe erleben.

Das seitherige gotische Eingangstor in der Mitte der Westwand wurde in einen neuen großzügigen Eingangsbereich an der Nordseite versetzt. Es ist ein Zeichen von geschwisterlicher Verbundenheit, dass die katholischen Mitchristen jeden Monat ihren Gottesdienst in der Mauritiuskirche feiern.

Die beschädigten Chorfenster erhielten 1966 durch Wolf Dieter Kohler eine neue, abstrakte Verglasung. Die heilgebliebenen Butzenscheiben wurden in die großen Fensteröffnungen des Schiffs eingesetzt. Im Spitzbogen der einstigen schmalen Pforte gegenüber der jetzigen Eingangstür liest man auf einer solchen Butzenscheibe in alter Schreibweise die Jahreszahl 1493. Sie stammt ursprünglich aus dem mittleren Chorfenster. Sicher bezeichnet sie das Jahr, in dem einst die Chorfenster und damit der ganze Bau des Chors nach der Bauzeit vollendet war.

Bei dieser Renovierung vor 40 Jahren erhielt unsere Kirche einen einzigartigen neuen Altar, den der ortsansässige Bildhauer Albert Volz, der inzwischen verstorben ist, aus einem großen Steinblock geschaffen hat. Auf diesem Altarblock ist das Geschehen der Schöpfung nach den Berichten der Bibel in eindrucksvoller Bildhauerarbeit dargestellt. Man muss bei der Betrachtung um den Altar herum gehen.

Es beginnt vorne rechts mit der Bändigung des Chaos durch Gottes: „Es werde!“ Leben und Bewegung entsteht. Man sieht sogar „Spiralnebel“. Dann folgt die Trennung von Himmel und Erde, die Scheidung von Meer und trockenem Land. Sonne, Mond und Gestirne teilen Jahre und Tage. Fische tummeln sich im Meer. Landtiere, angefangen bei den Dinosauriern, tauchen auf.

Schließlich – wir befinden uns nun wieder auf der Vorderseite – sind die Menschen geschaffen. Sie stehen unter dem Segen Gottes und zugleich unter dem lastenden Fluch der Sünde. Deshalb gehört das Bronzekreuz auf dem Altar, ebenfalls von Albert Volz geschaffen, unbedingt zur Betrachtung dazu. Jesus hängt am Kreuz, umgeben von kranken und verlorenen Menschen. Er erlöst und befreit sie durch seinen Tod zum ewigen Leben im Licht, was auf der Rückseite des Kreuzes angedeutet wird.

Hermann Hornbacher, ursprünglich aus Oberhaugstett, hat die Kirche in Altbulach im Jahr 1966 unter Pfr. Spellenberg gründlich renoviert.

Die neue Orgel

Kirche Altbulach Orgel

Kirche Altbulach Orgel

Im Jahre 2004 erhielt die Mauritiuskirche eine neue Orgel. Dieses kleine aber edle Instrument wurde in der weithin bekannten einheimischen Orgelbauwerkstatt Rohlf im Seitzental mit viel Liebe und Sachverstand gebaut. Die Orgel bedeutet für das ganz Kirchspiel Neubulach eine große Freude. Eine beachtliche Spende hat den Startschuss für den Bau der Orgel gegeben. Weitere Spenden folgten.

Eigentlich sollten in der Kirche nur Mängel beseitigt werden, die der neuen Orgel schaden könnten. Aber dann wurde mit ungeheurem Schwung in vorbildlichem Zusammenwirken von Handwerkern, Restaurator und vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern die Kirche von außen und innen erneuert, so dass sie in frischem Glanz erstrahlt. Sie ist bereit für den Empfang der schönen Orgel, die jetzt zur Ehre Gottes erklingen kann. Viele Menschen aus nah und fern sollen sich bei Gottesdiensten und musikalischen Veranstaltungen an ihrem Klang erfreuen.

Text: Dekan Adolf Götz